Verfassungskonformität von Art. 7 Abs. 3 BayEUG n.F, (Wandkreuz in Schulräumen), Entscheidung vom 01.08.1997 - Vf. 6 - VII - 96, Vf. 17-VII-96 u. Vf. 1-VII-97

1. Der bayerische Landesgesetzgeber war weder durch den Grundsatz der staatlichen Neutralität gegenüber Kirchen, Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gemeinschaften noch durch das Verbot der Staatskirche (Art. 142 Abs. 1 BV) gehindert, in Art. 7 Abs. 3 BayEUG die Anbringung eines Kreuzes in...

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Published in:Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946
Corporate Author: Bayern, Verfassungsgerichtshof (Author)
Format: Print Article
Language:Undetermined language
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Published: ˜deœ Gruyter 2001
In: Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946
Year: 2001, Volume: 35, Pages: 298-316
IxTheo Classification:SB Catholic Church law
Further subjects:B Jurisdiction
B Freedom of religion
B Classroom crucifix
Description
Summary:1. Der bayerische Landesgesetzgeber war weder durch den Grundsatz der staatlichen Neutralität gegenüber Kirchen, Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gemeinschaften noch durch das Verbot der Staatskirche (Art. 142 Abs. 1 BV) gehindert, in Art. 7 Abs. 3 BayEUG die Anbringung eines Kreuzes in jedem Klassenraum der Volksschule vorzuschreiben, da er gleichzeitig eine Konfliktlösung für den Fall vorgesehen hat, dass dem widersprochen wird. 2. Der Gesetzgeber hat mit dieser Konfliktlösung einen schonenden Ausgleich eröffnet, der den widerstreitenden Grundrechtspositionen der Glaubensfreiheit aus Art. 107 Abs. 1 BV gerecht wird. Sie erfordert eine Abwägung, bei der dem Willen der Mehrheit nicht die ausschlaggebende Bedeutung zukommt. Dieser Wille tritt hinter der letztlich entscheidenden Ernsthaftigkeit und Einsehbarkeit der vom Widersprechenden geltend gemachten Gründe zurück. Im Konfliktfall muss sich daher auch bei entgegenstehender Mehrheit der Widersprechende durchsetzen, wenn ernsthafte und einsehbare Gründe auf eine unzumutbare innere Belastung schließen lassen und eine weniger einschneidende Ausgleichslösung nicht möglich ist. 3. Einem mündigen und gemeinschaftsbewussten Bürger ist es - auch unter Berücksichtigung des Schweigerechts nach Art. 107 Abs. 5 BV - unter den Bedingungen des demokratischen Rechtsstaats und des Toleranzgebots zumutbar, gegebenenfalls Widerspruch gegen die von ihm als nicht erträglich empfundene Anbringung eines Kreuzes geltend zu machen. Für den Widerspruch muss eine Begründung gegeben werden, da andernfalls der verfassungsrechtlich geforderte schonende Ausgleich der widerstreitenden Grundrechtspositionen nicht erreicht werden könnte. Es widerspräche dem verfassungsrechtlich gebotenen Verständnis des Grundrechts auf Glaubensfreiheit, wenn ein der Anbringung von Kreuzen Widersprechender sich mit seinem Verlangen ohne weiteres durchsetzen könnte, ohne hierfür die Gründe anzugeben. Er würde dadurch den von der Verfassung geforderten schonenden Ausgleich vereiteln und könnte seiner Überzeugung entgegen Art. 107 Abs. 1 BV den absoluten Vorrang verschaffen. 4. Das Vorbringen "ernsthafter und einsehbarer Gründe" nach Art. 7 Abs. 3 Satz 3 BayEUG verlangt von dem, der der Anbringung eines Kreuzes widerspricht, im Hinblick auf das Schweigerecht in Art. 107 V BV, keine umfassende Darlegung des Inhalts oder gar der Intensität seiner religiös-weltanschaulichen Überzeugungen im Sinn einer sachlichen Rechtfertigung. Entscheidend ist, dass für das Verlangen nach Abnahme des Kreuzes im Klassenraum nicht beliebige, mutwillige oder missbräuchliche Gründe ausreichen, sondern nur solche, die in einem rechtfertigenden Zusammenhang mit dem Ziel des Widerspruchs stehen. Das können der Natur der Sache nach nur Gründe des Glaubens oder der Weltanschauung sein. Die Berufung auf die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder Weltanschauung wird grundsätzlich nicht genügen. In der Regel wird der Widersprechende angeben müssen, inwieweit sich für ihn der Anblick eines Kreuzes ein ernsthafter und unausweichlicher Glaubens- oder Weltanschuungskonflikt ergibt. 5. An der Feststellung, dass Art. 7 Abs. 3 BayEUG der Bayerischen Verfassung nicht widerspricht, ist der BayVerfGH durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 16.05.1995 (BVerfGE 93, 1, KirchE 33, 191) nicht gehindert. § 31 BVerfGG steht dieser Feststellung nicht entgegen
ISSN:0340-8760
Contains:Enthalten in: Entscheidungen in Kirchensachen seit 1946