Gesichtsverschleierung beim Führen eines Kfz, 8 B 1967120

Bei dem Wunsch, sich auch beim Führen eines Kraftfahrzeugs mit einem Niqab zu verschleiern, handelt es sich um eine glaubensgeleitete, vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG erfasste Entscheidung, weil es auf das Selbstverständnis des betroffenen Grundrechtsträgers ankommt und nicht darauf, ob...

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Corporate Author: Nordrhein-Westfalen, Oberverwaltungsgericht (Author)
Format: Print Article
Language:German
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Published: Berliner Wissenschafts-Verlag 2022
In: Kirche & Recht
Year: 2022, Volume: 28, Issue: 1, Pages: 124-125
Further subjects:B Jurisdiction
B § 23 Abs. 4 S. l StVO
B Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
Description
Summary:Bei dem Wunsch, sich auch beim Führen eines Kraftfahrzeugs mit einem Niqab zu verschleiern, handelt es sich um eine glaubensgeleitete, vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG erfasste Entscheidung, weil es auf das Selbstverständnis des betroffenen Grundrechtsträgers ankommt und nicht darauf, ob die Mehrheit der islamischen Theologen und Rechtsgelehrten die Verschleierung als islamische Pflicht ansieht. Dem Gesichtsverhüllungs- und -bedeckungsverbot des § 23 Abs. 4 S. 1 StVO kommt auch eine präventive Funktion zu, weil ein Fahrzeugführer, der damit rechnen muss, dass er auf der Grundlage eines automatisiert gefertigten Lichtbildes für einen von ihm begangenen Verkehrsver-stoß zur Verantwortung gezogen wird, Verkehrszuwiderhandlungen eher zu vermeiden sucht als derjenige, der sich aufgrund der Verhüllung bzw. Bedeckung seines Gesichts unerkannt im Straßenverkehr bewegt. Damit ist dieses Verbot jedenfalls mit Blick auf den bezweckten präventiven Schutz hochrangiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) anderer Verkehrsteilnehmer verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Durch dieses wird zwar niemand an der Praktizierung seines Glaubens gehindert. Bei Befolgung der von ihr verbindlich empfundenen Bekleidungsvorschriften muss die betroffene Person aber auf das Führen eines Kraftfahrzeugs verzichten. Die Regelung kann sie daher mittelbar in ihrer Religionsausübung beeinträchtigen. Dem Grundrecht aus Art. 4 Abs. l und 2 GG kommt jedoch kein genereller Vorrang vor der Sicherheit des Stra-ßenverkehrs im Allgemeinen und dem Verbot des § 23 Abs. 4 S. l StVO im Besonderen zu. Vielmehr bedarf es der Abwägung mit anderen Verfassungspositionen im Einzelfall, welches der widerstreitenden Verfassungsgüter sich im konkreten Einzelfall durchzusetzen vermag. Das Führen eines Kraftfahrzeugs ist weder zwingend noch alternativlos. Deshalb besteht kein unausweichbarer Konflikt zwischen der Befolgung eines als verpflichtend empfundenen Glaubensgebots einerseits und der Wahrnehmung anderer, ebenfalls grundrechtlich ge-schützter Interessen von erheblichem Gewicht andererseits. Daher ist es nicht grundsätzlich unzumutbar, sich zwischen der Teilnahme am Straßenverkehr als Kraftfahrzeugführerin zu den Bedingungen des § 23 Abs. 4 Satz l StVO oder dem unbedingten Befolgen des religiösen Gebots unter Preisgabe der mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs verbundenen Vorteile, aber nicht unter Hinnahme un-zumutbarer Nachteile, zu entscheiden.
(Zusammenfassung von Prof. Dr. Felix Hammer)
ISSN:0947-8094
Contains:Enthalten in: Kirche & Recht