Kirchensteuer und Kirchgeld bei glaubensverschiedenen Ehen

1. Das gegen seine Ehefrau festgesetzte besondere Kirchgeld ist mit dem Steuererstattungsanspruch des Beschwerdeführers zu 1 verrechnet worden. Damit war er unabhängig davon, ob er nach deutschem Recht wegen des Kirchgeldes zahlungspflichtig war oder nicht, von der gerügten Art der Erhebung des Kirc...

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Corporate Author: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Author)
Format: Print Article
Language:German
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Published: 2018
In: Neue juristische Wochenschrift
Year: 2018, Volume: 71, Issue: 45, Pages: 3295-3299
IxTheo Classification:SB Catholic Church law
Further subjects:B Jurisdiction
B Mixed marriage
B Catholic church Codex iuris canonici 1983. can. 1263
B Church tax
Description
Summary:1. Das gegen seine Ehefrau festgesetzte besondere Kirchgeld ist mit dem Steuererstattungsanspruch des Beschwerdeführers zu 1 verrechnet worden. Damit war er unabhängig davon, ob er nach deutschem Recht wegen des Kirchgeldes zahlungspflichtig war oder nicht, von der gerügten Art der Erhebung des Kirchgeldes seiner Ehefrau unmittelbar betroffen. Deswegen und wegen der erforderlichen flexiblen Anwendung der Kriterien für die Opfereigenschaft war er im Sinne von Art. EMRK Artikel 34 EMRK Opfer des gerügten Sachverhalts, auch wenn der Teil des Steuerbescheids zum besonderen Kirchgeld ihn nicht unmittelbar betraf. 2. Art. EMRK Artikel 9 EMRK (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit) verbürgt auch negative Rechte, zum Beispiel die Freiheit, keine religiöse Überzeugung zu haben und keine Religion zu praktizieren. Dieses allgemeine Recht schützt jeden davor, gegen seinen Willen zur Beteiligung an religiösen Betätigungen gezwungen zu werden. Die Entrichtung einer besonderen Steuer an eine Kirche zur Finanzierung ihrer religiösen Aktivitäten kann unter bestimmten Umständen eine solche Beteiligung sein. 3. Art. EMRK Artikel 9 EMRK ist auch für Nichtgläubige und Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, ein wertvolles Gut. Es ist ein Eingriff in den negativen Aspekt dieser Vorschrift, wenn ein Staat mittelbar oder unmittelbar jemanden verpflichtet, Beiträge zu einer religiösen Organisation zu leisten, der er nicht angehört. Unter Berücksichtigung des den Konventionsstaaten bei der Regelung der Beziehungen zwischen Kirchen und Staat zugebilligten weiten Ermessensspielraums und wegen der Möglichkeit, einen Abrechnungsbescheid zu beantragen, haben die deutschen Behörden und Gerichte stichhaltige und ausreichende Gründe dafür angeführt, dass die Verrechnung der Erstattungsansprüche des Beschwerdeführers zu 1 mit den von der Evangelischen Kirche Baden-Württemberg gegen seine Ehefrau geltend gemachten Ansprüchen gerechtfertigt war. 4. Die Erhebung von Kirchensteuern ist für sich genommen kein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, sofern im staatlichen Recht die Möglichkeit zum Kirchenaustritt vorgesehen ist. 5. Dass die Kirchen staatlicher Kontrolle unterliegen, ändert nichts daran, dass es sich bei der Beitragserhebung um eine autonome kirchliche Entscheidung handelt. Die Aufgabe des Staates ist insoweit auf Kontrollbefugnisse beschränkt. In Deutschland sind hinreichende Schutzmechanismen zur Wahrung der Religionsfreiheit vorgesehen. Deswegen gibt es keine Anzeichen für einen Eingriff in Rechte nach Art. EMRK Artikel 9 EMRK. 6. Die Berechnung der Kirchensteuer ergab sich nicht unmittelbar aus staatlichen Rechtsvorschriften, sondern aus einer unabhängigen Entscheidung der Evangelischen Kirche Thüringen. Diese Entscheidung kann aber nicht dem beklagten Staat zugerechnet werden. (Leitsätze der Bearbeiter) EGMR (V. Sektion), Urteil vom 6.4.2017 - 10138/11, 16687/11, 25359/11, 28919/11 (Klein ua/Deutschland)
ISSN:0341-1915
Contains:Enthalten in: Neue juristische Wochenschrift