Urteil vom 09.12.2010: Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren

Eine Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § VWGO § 130?a S. 1 VwGO scheidet aus, wenn die Rechtssache außergewöhnlich große Schwierigkeiten in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht aufweist. Stellt das Berufungsgericht eine nach seine...

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Corporate Author: Deutschland, Bundesverwaltungsgericht (Author)
Format: Print Article
Language:German
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Published: C. H. Beck 2011
In: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht
Year: 2011, Volume: 30, Pages: 629
IxTheo Classification:SB Catholic Church law
Further subjects:B Jurisdiction
B Refugee law
B Asylum
B Germany
Description
Summary:Eine Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § VWGO § 130?a S. 1 VwGO scheidet aus, wenn die Rechtssache außergewöhnlich große Schwierigkeiten in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht aufweist. Stellt das Berufungsgericht eine nach seiner Auffassung für die Flüchtlingsanerkennung wesentliche innere Tatsache (hier: Ernsthaftigkeit der Glaubensüberzeugung), zu der das Verwaltungsgericht sich keine abschließende Überzeugung gebildet und über die das Bundesamt nicht entschieden hat, allein auf Grund der Aktenlage fest, verletzt es in aller Regel die Sachaufklärungspflicht sowie den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Die Ernsthaftigkeit der Konversion erweist sich nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt, der bei der Prüfung auf Verfahrensfehler selbst dann zu Grunde zu legen ist, wenn er verfehlt sein sollte als entscheidungserheblich. Eine Flüchtlingsanerkennung wegen der Gefahr religiöser Verfolgung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes kommt nur dann in Betracht, wenn die Hinwendung zu dem angenommenen Glauben auf einer festen Überzeugung und einem ernst gemeinten religiösen Einstellungswandel und nicht nur auf Opportunitätserwägungen beruht. Nur wenn die Konversion die religiöse Identität des Schutzsuchenden in dieser Weise präge, könne ihm nicht angesonnen werden, in seinem Heimatland auf die Religionsausübung zu verzichten, um staatlichen Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen.Auf der Grundlage dieses materiell-rechtlichen Ansatzes lag es nahe und hätte sich dem BerGer. In der hier vorliegenden Prozesssituation aufdrängen müssen, die Kl. Persönlich anzuhören, um sich für die gerichtliche Beweiswürdigung einen unmittelbaren Eindruck von ihr zu verschaffen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG liegt es zwar grundsätzlich im Ermessen des BerGer., ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen oder Bet. Erneut vernimmt. Es kann dessen schriftlich festgehaltene Aussage auch ohne nochmalige Vernehmung zu dem unverändert gebliebenen Beweisthema selbstständig würdigen. Von der erneuten Anhörung des Zeugen oder Bet. Darf das BerGer. Jedoch dann nicht absehen, wenn es die Glaubwürdigkeit des in erster Instanz Vernommenen abweichend vom Erstrichter beurteilen will und es für diese Beurteilung auf den persönlichen Eindruck von dem Zeugen oder Bet. Ankommt.im Berufungsverfahren ist eine persönliche Anhörung des Asylbewerbers im Wege der informatorischen Befragung oder der Parteivernehmung auch dann geboten, wenn die Vorinstanz - wie hier - hinsichtlich eines zentralen Punkts seines tatsächlichen Vorbringens keine Feststellungen getroffen, sondern seine Glaubwürdigkeit insoweit offengelassen hat. Denn der Ausländer, der politische Verfolgung geltend macht, befindet sich hinsichtlich seines individuellen Verfolgungsschicksals typischerweise in Beweisnot und ist als "Zeuge in eigener Sache" zumeist das einzige Beweismittel. Auf die Glaubhaftigkeit seiner Schilderung und Glaubwürdigkeit seiner Person kommt es entscheidend an, so dass seinem persönlichen Vorbringen und dessen Würdigung maßgebliche Bedeutung zuzumessen ist. Soweit die tatrichterliche Würdigung des individuellen Vorbringens des Asylbewerbers wesentlich von seiner Glaubwürdigkeit abhängt, wird vom Gericht hierüber in aller Regel nur nach einer persönlichen Anhörung des Asylbewerbers entschieden werden können. Das gilt nicht nur hinsichtlich der Würdigung seiner Angaben zum Vorfluchtschicksal, sondern in gleicher Weise für die innere Tatsache der ernsthaften, die Persönlichkeit des Asylbewerbers prägenden Glaubensüberzeugung. Stellt das BerGer. Diese nach seinem materiell-rechtlichen Ansatz zentrale anspruchsbegründende Tatsache der Flüchtlingsanerkennung, zu der das VG sich nicht abschließend verhalten hat und über die das Bundesamt noch nicht zu entscheiden hatte, im Rahmen der ihm obliegenden Beweiswürdigung allein auf Grund der Aktenlage fest, verletzt es in aller Regel - und so auch hier - die Sachaufklärungspflicht sowie den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.
ISSN:0721-880X
Contains:Enthalten in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht