Die Cantio „In dulci iubilo”: In memoriam Waldtraud Ingeborg Sauer-Geppert
Eine bisher unbekannte Papier-Hs. aus dem Nachlaß von Hans Joachim Moser, um 1510 geschrieben, ist die Abschrift aus einer sehr viel älteren Vorlage. Sie enthält die Cantio In dulci iubilo mit vier Strophen zu zehn Versen, denen allen die einstimmige Melodie beigegeben ist, dazu ein sechsmaliges Ame...
Authors: | ; ; |
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Format: | Electronic Article |
Language: | German |
Check availability: | HBZ Gateway |
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Published: |
Vandenhoeck & Ruprecht
1985
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In: |
Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie
Year: 1985, Volume: 29, Pages: 23-78 |
Online Access: |
Volltext (lizenzpflichtig) |
Summary: | Eine bisher unbekannte Papier-Hs. aus dem Nachlaß von Hans Joachim Moser, um 1510 geschrieben, ist die Abschrift aus einer sehr viel älteren Vorlage. Sie enthält die Cantio In dulci iubilo mit vier Strophen zu zehn Versen, denen allen die einstimmige Melodie beigegeben ist, dazu ein sechsmaliges Amen. Die Hs. besteht aus zwei Teilen: 1) einem Cantionale für die Hand einer Kantorin mit lateinischen Gesängen für die Zeit von Palmarum bis Ostern und Fronleichnam, für die Marienfeste und das Fest des hl. Bernhard, zum Lobe der Märtyrer sowie für das Totenamt; 2) Ordnungen für die Aufnahme von Novizinnen, für die Profeß von Oblaten und für den Versehgang (Wegzehrung, Krankensalbung, Sterbegebete und Fürbitten für Gestorbene). Beide Teile sind größtenteils von einer Hand sehr sorgfältig geschrieben und erst später in einen Pergamentband zusammengebunden worden. An mehreren Merkmalen ist zu erkennen, daß das Ms. für ein Nonnenkloster angefertigt ist, welches dem Zisterzienser-Orden angehört. Die Mundart der deutschen Texte in beiden Teilen ist Westmitteldeutsch; sie gehört dem Rheinfränkischen an, wie es in der Gegend zwischen Mainz und Worms gesprochen wurde. Da in der Sterbelitanei vier Heilige angerufen werden, die vor allem in Frankreich verehrt wurden, ist anzunehmen, daß das Kloster mit einer französischen Ordensprovinz in neher Beziehung stand und vermutlich im Bistum Metz gelegen war. In der Hs. Moser steht In dulci iubilo zwischen Gesängen zum Lobe der Märtyrer und Sterbegesängen. Zu diesen leitet die vierte Strophe der Cantio über, in der die Gottesmutter „Maria nostra spes“ angerufen wird; sie endet mit den Versen Vitam nobis des, daß uns zuteil werde aeterna requies. Die zweite Strophe „O Jesu parvule“ und die Marien-Strophe sind auch in Orationalien des Zisterzienserinnen-Stifts Medingen zwischen Gebets- und Meditationstexte eingefügt, ohne erkennbare Beziehung zu Weihnachten, jedoch im Zusammenhang mit dem Sakrament des Altars. Dies ist auch in einer aus der Kartause St. Barbara in Köln stammenden Darmstädter Hs. (um 1440) erkennbar durch einen über die Cantio gesetzten Vierzeiler, in dem die Opfergaben Abels, Abrahams und Melchisedechs mit dem Opfertod jesu verglichen werden. Nach der Beschreibung der Hs. Moser untersucht der Autor die Dichtung, vergleicht sie mit der Überlieferung in 16 anderen Manuskripten – deren Zuverlässigkeit er prüft. Er behandelt eingehend das Problem der Mischpoesie, die – soweit sie geistlich ist – in einer klösterlichen Gemeinschaft entstanden ist, und zwar spätestens zu Lebzeiten des Mystikers Heinrich Seuse (1295–1366), weil dieser berichtet, er habe die Cantio, von Engeln gesungen, in einer Vision gehört. Die Melodie ist eine Bordunweise; ihre Initialformel stimmt mit derjenigen überein, die als 5. Psalmton für die Psalmi maiores gebraucht wurde und in zahlreichen Gesängen wiederkehrt. Zwei besondere Kapitel bilden die Untersuchungen der in sechs Handschriften überlieferten zweistimmigen Tonsätze und der Faktur dieser Zweistimmigkeit, die als discantus ex improviso in urwüchsiger Praxis entstanden ist. Sie war nicht nur in Klöstern, sondern auch bei geselligem Singen der Reiter, Bergleute und Handwerker noch lange Zeit in Gebrauch und wurde von Theoretikern als sortisatio bezeichnet. Ursprünglich war die Cantio kein Tanzlied; sie wurde aber als solches beim Kindelwiegen und in Weihnachtsspielen verwendet. Ihre Melodie wurde dafür umgeformt und erhielt so ihre einprägsame Gestalt, die sie volkstümlich und für den Gemeindegesang verwendbar machte. Sie muß auch Luther bekannt und lieb gewesen sein, da sie in sein Wittenberger Gesangbuch (DKL 1529⁰³, 1533⁰²) aufgenommen worden ist. In dieser Fassung, ohne die Marienstrophe, erscheint sie von da an nicht nur in evangelischen, sondern auch in katholischen Gesangbüchern und war – auch zweisprachig – ein beliebtes Weihnachtslied, bis sie der Aufklärung zum Opfer fiel. Erst seit etwa 1930 wurde In dulci iubilo durch die Singbewegung und durch die kirchenmusikalische Erneuerung weider bekannt und wird sowohl in Weihnachtsgottesdiensten als auch bei der häuslichen Feier gern gesungen. Newly discovered among the inheritance of H. J. Moser, is a MS written about 1510. It is a copy of a much older script and contains the Cantio In dulci jubilo, with four stanzas of 10 lines each, all set to the same unaccompanied melody, with a six-fold 'Amen'. The MS consists of 2 parts: first a Cantionale for the female voice, with latin songs for the Church year from Palm Sunday to Easter and Corpus Christi, for the Marian feast days, for the feast of St Bernard, in praise of the martyrs, and for the office for the dead: and secondly, offices for the admission of novice nuns, for the profession of Oblates, and for the ministry to the sick and dying (anointing of the sick, prayers for the dying, and intercessions for the souls of the departed). Both parts have been for the most part written out very carefully by the same scribe, and only later bound together in parchment. many indications point to the MS having been prepared for a nunnery of the Cistercian Order. The language of the German texts of both parts is West Middle German, and uses the Rhine-Frankish dialect, as it was spoken in the district between Mainz and Worms. The fact that four saints, venerated chiefly in France, are addressed in the Litany for the Dying, suggests that the Nunnery had close connections with a Franch province of the Order, and was probablyin the diocese of Metz. In the Moser MS In dulci jubilo stands between hymns in praise of the martyrs and hymns for the dying. The fourth stanza of the cantio which addresses the Virgin as 'Mary our hope' (Maria nostra spes) leads into this next group. It ends with the lines: Vitam nobis des, daß uns zuteil werde aeterna requies. Give us life that we may receive eternal rest. The second stanza 'O Jesu parvule', and the Marian stanzas also occur in prayer books of the Cistercian nunnery at Medingen, between prayers and passages for meditation, with no obvious connection with Christmas, yet linked to the Sacrament of the Altar. We may see this too in a MS of about 1440 in Darmstadt, which comes from the Carthusian House of St Barbara in Cologne, in a quatrain based on the cantio, in which the sacrifice of Abel, of Abraham and of Melchizedek are all compared to the sacrificial death of Jesus. After describing the Moser MS the Author makes a study of the poem, comparing it with versions in 16 other MSS, whose reliability he examines. He goes thoroughly into the problem of the macaronic verse, which–insofar as it is spiritual in content–originated in a monastic community, at latest during the lifetime of the mystic Heinrich Seuse (1295–1366), who said that he had heard the Cantio sung by angels in a vision. The Melody is a bourdon-type: its initial formula is identical with those used for the 5th psalm tone of the Psalmi Majores, and recurrs in numerous hymns. Two sections in particular examine the two-part arrangements handed down in 6 MSS, and the nature of this two-part writing, which began initially as the practice of discantus ex improviso (improvised discant). It had been in common use for a long time, not only in monasteries but also socially among horsemen, mountain peasants and craftsmen, and was called by the theoreticians sortisatio. The cantio was not originally a dance-tune, but was used as such; it was also used as a lullaby; and for Christmas festivities. Through these uses the melody was altered until it reached its present striking form, which made it so acceptable as a folksong or popular song. Luther must have known and loved it, since he included it in his Wittenberger Gesangbuch (DKL 1529⁰³, 1533⁰²). In this version, without the Marian verses, it appears henceforward, not only in Protestant but also in Catholic hymnbooks, and became a favourite Christmas carol until it fell victim to the Enlightenment. Since about 1930 In dulci jubilo has become well known once again, through the 'singing movement' (Singbewegung) and the renewal in Church music. It is now a favourite Christmas carol in Church and home. |
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ISSN: | 2197-3466 |
Reference: | Errata "ERRATA, CORRIGENDA ET ADDENDA (1986)"
Errata "ERRATA, CORRIGENDA ET ADDENDA (1985)" |
Contains: | Enthalten in: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie
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